Minnesota-Himmel

März 6, 2021Kurzprosa

Minnesota-Himmel

März 6, 2021 | Kurzprosa

Auf dem US-Ehrenfriedhof von Henri-Chapelle nahe der deutsch-belgischen Grenze liegen circa achttausend gefallene US-Soldaten, die größtenteils ihr Leben bei der Ardennenoffensive 1944 ließen. Auch heute noch wird auf diesem Friedhof beigesetzt, denn immer noch werden in der Umgebung die sterblichen Überreste vermisster Soldaten gefunden, und manchmal hört man ihre Stimmen.

Die spitzen Zacken, Wolfszähne, sie beißen in den Himmel, blutige Fetzen stürzen herab, das Rudel heult in der Ferne. Die Sonne zerbricht, fällt in Scherben, flammendrot, bin aufgebrochen. In meiner Mitte eine rote Quelle, wie sie strömt, das Gras so rot, wir lagen im Gras, mein Gesicht in deinem Haar, es duftete nach Sommerwind, versprich mir, dass du wieder kommst, ich verspreche es, schwöre es, mein Glied pulsiert, dein leises Stöhnen. Der Minnesotahimmel so weit, du kitzelst mein Ohr mit einem Grashalm. Das Gras wird gesprenkelt mit einem roten Sprenkler, es schimmert und wiegt sanft im Licht. Eine rote Pfütze, wird langsam größer, Jim, Jim, are you okay, Jim?, die Wölfe heulen. Es ist Erntezeit jetzt, Thanksgiving, Mutter füllt den Truthahn, Maronen, Äpfel und Walnüsse, ihre Nadel fährt durch das weiße Fleisch, sie näht ihn zu, Stich um Stich durch das weiße tote Fleisch, die Innereien ein klumpiger Bluthaufen. Salzlaken in den Grübchen ihrer Wangen, oh my God. Du siehst anders aus, es ist mein Haar, es ist so stachelig, deine Hand fährt über den Kopf, du lachst, doch in deinen Augen die Angst. Der steife Kragen der Uniform, Mutter rückt mein Barett zurecht, ihre Hand zittert. Schulterklopfen, bye, Dad, die Krauts, boy, die Krauts sind devils, God bless America. Stolz in seiner Stimme. Jim, Jim, halt durch, Jim, ein Sonnensplitter sticht in meinen Bauch, dieses Brennen, die Pfütze ist jetzt ein See. Die Wölfe ziehen enge Kreise. Am schlimmsten war es nachts. Die Tannen stachen schwarz in den Himmel. Hürtgenwald. Die Luft war kalt. Wir spielen das Hänsel und Gretelspiel. Hands up, er schießt sofort, ein greller Blitz, Sternenregen aus meiner Hand, er fällt, ich keuche. Er atmet noch, er schaut mich an mit diesem Blick. Ein waidwundes Tier. Ich gebe ihm den Gnadenschuss. Die Krauts sind devils, sie haben den Himmel zerstört. Der Horizont eine Zackenlinie, graue steinerne Wolfszähne, die den Himmel zerbeißen. Der Minnesotahimmel ist weit und blau.

US-Ehrenfriedhof von Henri-Chapelle
US-Ehrenfriedhof von Henri-Chapelle
US-Ehrenfriedhof von Henri-Chapelle

Über die Autorin

Frauke Buchholz wurde 1960 in der Nähe von Düsseldorf geboren. Sie studierte Anglistik und Romanistik und promovierte über zeitgenössische indianische Literatur. 

Sie liebt das Reisen und fremde Kulturen und hat einige Zeit in einem Cree-Reservat in Kanada verbracht. Heute lebt sie in Aachen und schreibt Romane und Kurzgeschichten, die in zahlreichen Anthologien erschienen sind. Ihre Geschichte „Barfly“ wurde 2020 mit dem 1. Preis der Gruppe 48 ausgezeichnet.

Frauke Buchholz

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